In Patagonien war bereits Herbst und eine kalte, sternenklare Nacht. Um 2:30 Uhr verließ ich das Hostel im Stockdunkeln und machte mich auf den Weg zur Laguna de los Tres. Nachdem ich El Chaltén hinter mir gelassen hatte und auf dem schmalen Steig in Richtung Fitz Roy unterwegs war, wurde die Milchstraße über mir immer klarer. Euphorie, Adrenalin, etwas Restmüdigkeit und ein bisschen Angst, ganz allein durch die Nacht zu wandern, mischten sich in meinem Körper zusammen. Ich wollte unbedingt den Sonnenaufgang sehen und dabei vor dem berühmten Mount Fitz Roy stehen. Aber je näher ich dem Ziel kam, desto mehr Wolken zogen auf. Nach drei Stunden in voller Dunkelheit kam ich eine Stunde früher als kalkuliert oben an. An der Lagune pfiff der Wind über den Kamm und peitschte mir den Nieselregen ins Gesicht. Alles andere als perfekte Bedingungen.
Ich verkroch mich hinter einen großen Felsen, zog all meine Klamotten an und wartete zusammengerollt, bis es endlich heller wurde und langsam die Dämmerung anbrach. Mein Herz sprang im Dreieck beim überwältigenden Gefühl, dort oben vor diesem Riesen zu stehen. Mount Fitz Roy in dicke Wolken gehüllt und dennoch strahlte dieses Massiv eine unglaubliche Kraft aus. Als sich dann noch ein Regenbogen über das Tal spannte, war mein ganz persönliches Glück perfekt. Der Regen hatte aufgehört, die Sonnenstrahlen durchfluteten meinen Körper und wie in Argentinien so üblich teilte jemand seinen Mate-Tee mit mir. Besser konnte der Tag nicht starten.
Zurück in El Chaltén schickte ich ein Foto an eine Freundin und teilte stolz meine Tour mit ihr.
Und die erste Reaktion war:
„Aber man sieht ihn ja gar nicht richtig.“
Bumm, Ernüchterung. Wie kann sie nur?
Aber ja, auch sie kennt hunderte Bilder des bekannten Riesen Patagoniens. Die perfekten Bilder des rotleuchtenden Felsens und der Blauen Lagune. Und von mir bekam sie das nicht. Sondern die Realität. Das echte Bild, so wie der Fitz Roy wahrscheinlich an 250 Tagen im Jahr aussieht.
Dieses Erlebnis hat mich zum Denken gebracht. Lässt mich hinterfragen, was die Bilderflut – besonders der Berge – mit uns macht. Wir besuchen Orte, die wir gefühlt schon auswendig kennen, da wir schon so viele vermeintlich perfekten Bilder davon gesehen haben, sodass wir am Ende Gefahr laufen, von der realen Erfahrung enttäuscht zu werden. Enttäuscht, dass es nicht der Vorstellung in unserem Kopf entspricht. Dass die Instagramability der Realität nicht mithalten kann mit dem bereits vorhandenen Material im Web.
Und das raubt dem Augenblick seinen Kern – seine Gegenwärtigkeit.
Paradebeispiel dafür ist auch der Pragser Wildsee in Südtirol. Nahezu jede Person, die ich kenne und die dort war, hat das Szenario mit „Schon ganz schön, aber ich hatte es mir spektakulärer vorgestellt“ kommentiert. In unseren Köpfen existiert eine Traumwelt, ein perfektes Bild der Berge, mit der die Realität kaum noch mithalten kann.
Und darum geht es doch. Das echte Erlebnis wieder in den Vordergrund zu rücken, sodass auch das Normale wieder an Schönheit gewinnt. Denn unsere Bilder sollten als Abbild der Wirklichkeit wieder mehr ein „Return-Ticket“ in einen vergangenen Moment sein, als überinszenierte Darstellungen der Wirklichkeit. Die Balance zwischen Echtheit und Inszenierung zu finden, darin liegt auch für mich als Fotografin die Herausforderung.